Customer Experience in der Versicherungsbranche: Die Rolle von „Omnichannel“

"Omnichannel" ist einer der großen Trends der letzten Jahre. Aber was genau bedeutet das für Versicherungen? Und welchen Einfluss hat das auf Customer Experience Management (CXM)?

Aktuelle Herausforderungen des Versicherungsmarktes

Der deutsche Versicherungsmarkt ist hart umkämpft. Für das Jahr 2020 zählt das Statistical Yearbook of German Insurance des GDV allein 523 deutsche Versicherungsanbieter. Hinzu kommen einige hundert europäische und internationale Anbieter, die ebenfalls auf dem deutschen Markt agieren.

Die Leistungen, die unterschiedliche Versicherer anbieten, sind dabei oftmals vergleichbar und vor allem austauschbar. Das spiegelt sich auch in der insgesamt hohen Wechselwilligkeit der Kundinnen und Kunden wider. Eine aktuelle Studie hat ergeben, dass dabei besonders mangelnde Servicequalität ein Grund für Unmut bei den Versicherungsnehmenden ist.

Auch die Art und Weise, wie Policen abgeschlossen werden, ist einer stetigen Entwicklung unterworfen. Es überrascht wahrscheinlich nicht, dass vor allem digitale Kanäle immer wichtiger werden. Daten von McKinsey zeigen, dass die Zahl an online abgeschlossenen Versicherungen immer weiter zunimmt. Für bestimmte Arten von Versicherungen, geben mittlerweile über 50% der Kunden und Kundinnen an, dass ihr bevorzugter Abschlussweg digital ist.

Für Versicherungsanbieter bedeutet das vor allem, dass sie sich zunehmend auf die digitalen Bedürfnisse ihrer Zielgruppe ausrichten müssen. Die Herausforderungen für Versicherungen in den kommenden Jahren sind also in erster Linie technologischer Natur. Dazu gehört auf der einen Seite die Auswahl geeigneter digitaler Technologien, beispielsweise um Kundenerfahrungen zu managen. Auf der anderen Seite gehört dazu aber vor allem auch die angemessene Integration solcher Technologien. Denn eine große Anzahl an schlecht integrierten IT-Lösungen sorgt für mehr Chaos als Nutzen.

Im Rahmen dieses Artikels wollen wir besonders auf einen Faktor eingehen: Omnichannel.

Mehr über die Rolle von Omnichannel für CX-Management erfahren Sie auch in unserem Whitepaper Customer Experience verbessern. 5 Trends, auf die es in 2022 ankommt.“

Omnichannel: Was genau versteht man darunter?

Omnichannel heißt, seinen Kundinnen und Kunden eine ganze Bandbreite an möglichen Interaktionskanälen zur Verfügung zu stellen. Dazu zählen zum Beispiel:

  • Website, Live-Chat, E-Mail, Soziale Medien
  • Filialen, Vertreter:innen, Makler:innen
  • Telefon, Post
  • Messenger-Apps, Unternehmens-App, Integration in Drittanbieter-Apps

Bei einem Omnichannel-Modell kommt es vor allem darauf an zu wissen, auf welche Art die Zielgruppe am liebsten mit dem Unternehmen interagieren möchte. Denn auch wenn der Begriff „Omnichannel“ wörtlich übersetzt „Alle Kanäle“ bedeutet, ist das natürlich nicht buchstäblich zu verstehen. Für viele Versicherungsanbieter macht es aus einer Kosten-Nutzen-Perspektive schlicht keinen Sinn, jeden einzelnen Messenger-Dienst zu verwenden und auf allen Social Media Plattformen aktiv zu sein.

Es geht bei einer erfolgreichen Umsetzung einer Omnichannel-Strategie also darum:

  1. Alle relevanten Kanäle abzudecken
  2. Einen nahtlosen Übergang zwischen diesen zu gewährleisten.

Darin unterscheidet sich Omnichannel auch von Multi-Channel. Multi-Channel beschreibt ein System, innerhalb dessen den Kundinnen und Kunden ebenfalls eine Vielzahl möglicher Kanäle zur Verfügung gestellt werden. Diese sind jedoch nicht miteinander verbunden und erlauben daher keinen nahtlosen Kanalwechsel.

Omnichannel muss es Kunden und Kundinnen also ermöglichen, selbst innerhalb von laufenden Prozessen zwischen Kanälen zu wechseln.

 

Ein Beispiel:

Eine Schadensabwicklung wird über die Website einer Versicherung initiiert. Über die eigene App wäre das auch möglich gewesen.

Während des Prozesses werden dem oder der Antragstellenden verschiedene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zur Verfügung gestellt. Dazu gehören ein Self-Service Portal auf der Website, eine Telefon-Hotline, ein Livechat und die Option einen Termin in einer örtlichen Filiale auszumachen.

All diese Angebote helfen den Kundinnen und Kunden des Versicherungsanbieters, dessen Leistungen auch unbürokratisch abrufen zu können. Denn von „Hilfe durch Selbsthilfe“ bis hin zum persönlichen Gespräch werden verschiedene Kommunikationskanäle zur Verfügung gestellt.

Nehmen wir an, ein Kunde oder eine Kundin entscheidet sich für das Gespräch in der Filiale. Nachdem alle Formulare dort ausgefüllt und die nächsten Schritte besprochen sind, sollte jetzt wieder der Wechsel auf online Kommunikation möglich sein.

Das könnte sich dann beispielsweise dadurch auszeichnen, dass im Kundenportal der Status des Antrags live verfolgt werden kann. Zusätzlich sollten Statusupdates via Messenger-Dienst, SMS oder E-Mail gesendet werden können – wenn Kunden und Kundinnen das möchten.

Natürlich sollte darüber hinaus auch die Möglichkeit für einen rein analogen Prozess bestehen. Oder aber im Gegenteil die Option, die gesamte Schadensabwicklung „remote“ ablaufen zu lassen.

 

Die Rolle von Omnichannel in 2022

Die Idee sollte klar geworden sein: festgefahrene Strukturen und Prozesse sind nicht mehr zeitgemäß. Kundinnen und Kunden erwarten Flexibilität und digitale Affinität von ihren Versicherungsanbietern.

Denn wie Personen mit Versicherern favorisiert interagieren, unterscheidet sich teils drastisch je nach spezifischem Anliegen. So gaben etwa 32% der Befragten einer Gartner Studie an, neue Versicherungsprodukte rein online zu kaufen. Im Falle von Schadensmeldungen lag der Anteil an Personen, die diese rein online abschließen, lediglich bei 7%. Und generell zeigte sich, dass eine Kombination aus persönlichen und technologischen Kanälen in allen Fällen präferiert wurde.

“Insurance consumers are mature multichannel users. It’s only a matter of time before they demand omnichannel capabilities such as channel integration and improved channel experiences, including consistency across the channels and being able to start a transaction in a single channel and conclude it seamlessly in another.” (Gartner, 2021)

Fallstudie

Wie eine führende Versicherung ihren NPS um 38% steigern konnte?

Fallstudie anfordnern

Kund:innen sind hybrid unterwegs…

…und unterstreichen damit den Bedarf nach Omnichannel-Angeboten.

Bereits 2016 konnten sich je nach Altersgruppe rund 50% der Versicherungskundinnen und -kunden vorstellen, eine Versicherung online abzuschließen. Rund ein Drittel gab an, das bereits getan zu haben. Laut McKinsey liegt dieser Anteil – wie weiter vorne bereits angerissen – mittlerweile bei rund 50%.

Und dennoch spielen auch offline Kanäle beim Abschluss einer Versicherung eine entscheidende Rolle – und das oftmals unabhängig vom Alter.

Besonders wurde und wird das Internet dafür genutzt, Informationen über eine Versicherung zu sammeln. Nicht selten erfolgt der eigentliche Abschluss der Versicherungspolice dann aber auf traditionellem Weg. Das Problem: Oftmals ist der Wechsel von digitalen auf analoge Kanäle nicht rückgängig zu machen. Viele Versicherer bieten ihren Kunden und Kundinnen nicht die Möglichkeit, auf digitale Kanäle zurückzuwechseln, nachdem sie erst einmal offline mit einem Agenten oder einer Agentin gesprochen haben. Das ist ein klares Defizit.

Denn die Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Kunden und Kundinnen von Versicherungen zwei Dinge verlangen:

  1. Die Verfügbarkeit von digitalen Informations-, Kontakt- und Kaufangeboten
  2. Die Bereitstellung von persönlichen Ansprechpartner:innen und analogen, gegebenenfalls offline verfügbaren Kommunikationkanälen

Bestätigt wird das durch die Erkenntnis, dass innerhalb des Abschlussprozesses oftmals ein mehrfacher Wechsel zwischen Kanälen stattfindet. Kundinnen und Kunden nutzen also bereits verschiedene Kanäle – teils digital, teils analog – wenn diese zur Verfügung stehen. Daraus erwächst die klare Anforderung an die Versicherungsanbieter, diese Kanäle für eine nahtlose Customer Experience auch zur Verfügung zu stellen. Wer das nicht schafft, fällt in der Gunst der Zielgruppe unten durch.

Kristin Rosenow, Head of Business Development bei moveXM, sagt dazu Folgendes:

Wir beobachten bei Versicherungen schon seit einiger Zeit einen klaren Trend zur Erschließung zahlreicher Interaktionskanäle. Mehr Kanäle bedeuten in der Regel mehr Interaktionen zwischen Kundinnen, Kunden und Versicherung. Das bringt auf der einen Seite die riesige Chance mit sich, ganz neue Zielgruppen zu erschließen, geht jedoch auf der anderen Seite auch mit dem Risiko einher, den Überblick über die Vielzahl an Touchpoints zu verlieren.

Was heißt das für Versicherungen?

Je nach Ausgangslage haben Versicherer zwei allgemeine Optionen:

  1. Eine Digitalisierung analoger Vertriebskanäle
  2. Eine Erweiterung digitaler, direkter Kanäle um analoge Angebote

Im Folgenden wollen wir auf beide Optionen einen Blick werfen.

 

Digitalisierung analoger Vertriebskanäle

Viele Versicherer vertrauen nach wie vor auf ein ausgedehntes Netz an niedergelassenen Vertriebspartnern und -partnerinnen. Je nach Versicherungstyp machen diese „Zwischenhändler:innen“ rund die Hälfte der Vertriebskanäle aus.

Direktverkäufe – beispielsweise via Website oder App – steigen zwar seit Jahren an, haben aber oftmals weniger als 10% Anteil am Vertrieb. Natürlich gibt es hier Ausnahmen. So ist beispielsweise die Huk24 ein reiner Direktversicherer mit einem Versicherungsvolumen von hunderten Millionen Euro.

Aber die Realität für einen Großteil der Versicherungsbranche ist nach wie vor, dass Kundenaquise über das Netzwerk an Zwischenhändler:innen läuft.

Hier können Versicherungen ansetzen. Denn wie bereits herausgestellt, spielt die persönliche Interaktion für Kundinnen und Kunden immer noch eine wichtige Rolle. Für Beratungsangebote wird etwa gerne der persönliche Kontakt gesucht.

Vertriebspartner:innen sollten im Sinne einer Omnichannel-Strategie deshalb mit den Tools ausgestattet werden, die es ihnen erlauben, Kundinnen und Kunden auf mehr Kanälen zu erreichen – ohne den Aspekt des persönlichen Kontakts außer Acht zu lassen. In dieser Hinsicht geht es also vor allem darum, analoge Arten der Kommunikation anzureichern und um digitale Angebote zu erweitern.

Dafür gibt es verschiedene Optionen. Hier einige Beispiele:

  • Kund:innen könnte die Möglichkeit gegeben werden, Anfragen via App oder Website direkt an die nächstgelegene Niederlassung der Versicherung weiterzuleiten. Die Mitarbeitenden vor Ort sollten Zugriff auf alle relevanten Kundeninformationen haben – beispielsweise durch eine Customer Experience Management Dadurch wäre die Möglichkeit gegeben, ein Anliegen, das ursprünglich online aufgegeben wurde, im persönlichen Gespräch vor Ort zu lösen.
  • Aber auch umgedreht ist eine derartige Vorgehensweise denkbar. Beispielsweise durch digitalisierte Formulare, die allen Beteiligten Papierkram ersparen und Informationen direkt zentral verfügbar machen. Dadurch hätten Kund:innen die Möglichkeit, in der Niederlassung einen Vertrag abzuschließen und alle nötigen Dokumente zeitnah elektronisch zur Verfügung gestellt zu bekommen. Das ginge via Mail, in einem Kundenportal oder in der App.
  • Wenn aus bestimmten Gründen – beispielsweise einer globalen Pandemie – keine persönlichen Termine mehr möglich sind, sollte ein nahtloser Übergang zu Remote-Beratung möglich sein. Dafür müssen Niederlassungen mit der nötigen Soft- und Hardware für Videoanrufe ausgestattet werden.

Natürlich sind viele weitere Möglichkeit denkbar. Es sollte allerdings klar geworden sein, dass digitale Transformation im Sinne eines Omnichannel-Ansatzes nicht heißt, bestehende Vertriebsstrategien komplett zu überwerfen. Im Gegenteil: Ziel ist es, den Kunden und Kundinnen mehr Möglichkeiten zu geben, in Kontakt zu treten. Oder anders gesagt: Durch digitale Technologien können althergebrachte Kanäle effizienter gemacht und ausgedehnt werden.

 

Erweiterung direkter Vertriebskanäle

Versicherungsanbieter, die bereits über direkte Vertriebskanäle verfügen, etwa über die eigene Website, Apps oder Drittanbieter, könnten diese um persönliche Gesprächsangebote erweitern.

So etwas kann beispielsweise via Live-Chat stattfinden. Aber auch direktere Kommunikationskanäle, wie beispielsweise Beratungsgespräche via Videoanruf sind denkbar und vielerorts bereits Realität. Anstatt Kunden und Kundinnen komplett sich selbst zu überlassen, wird so die Möglichkeit einer kundennahen Interaktion geschaffen. Das wiederum erweitert und bereichert die bestehenden digitalen Kanäle.

Eins der möglichen Resultate: Es werden auch solche Personen angesprochen, die vorher Unsicherheiten bezüglich einer rein digitalen Versicherung hatten. Ein Gesicht am anderen Ende zu sehen und zu wissen, dass eine direkte Ansprechperson verfügbar ist, kann derartige Unsicherheiten beseitigen.

Welche Bedeutung hat das für erfolgreiches Customer Experience Management?

Eine detaillierte Darstellung der Relevanz von Customer Experience Management für Versicherungsanbieter haben wir an anderer Stelle für Sie zusammengestellt. Im Folgenden fokussieren wir uns daher vor allem auf die Rolle von CXM in Hinblick auf Omnichannel-Strategien.

Mit zunehmender Anzahl an Kanälen entsteht eine zunehmende Anzahl an Touchpoints zwischen Kunden, Kundinnen und Versicherungen. Und auch Kundenreisen (engl.: Customer Journeys) werden dadurch oftmals komplexer.

Gerade deshalb ist es entscheidend, dass Versicherungsanbieter jeden einzelnen dieser Touchpoints aktiv managen. Denn egal auf welche Art Kundinnen und Kunden sich entscheiden in Kontakt zu treten – die Versicherung sollte in der Lage sein, Anliegen schnell zu lösen. Das verlangt, dass trotz steigender Komplexität der Vertriebs- und Kommunikationskanäle alle Kundendaten zentral verwaltet werden müssen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Teammitglieder, die sich um Kundenanliegen kümmern, immer Zugriff auf alle relevanten Daten haben.

Auch in Hinblick auf Kundenfeedback ist ein ganzheitliches Customer Experience System entscheidend. Denn zahlreiche Kanäle anzubieten, macht für Versicherer nur dann Sinn, wenn der Zielgruppe dadurch das Leben auch erleichtert wird. Lange Wartezeiten bei Telefonanrufen, fehlerhafte Apps, komplizierte Websites und andere Defizite kosten Zufriedenheit und verursachen Churn.

Um etwaige Reibungspunkte kontinuierlich verbessern zu können, ist es entscheidend, Kundenfeedback über die gesamte Customer Journey hinweg zu erheben.

Nehmen wir an, Marie Musterfrau bekommt einen Brief von ihrer Versicherung, der fehlerhafte Informationen enthält. Ihre Reaktion ist es, die Versicherung via des Kontaktformulars auf der Website darüber zu informieren. Im Hintergrund muss jetzt ein System existieren, dass die Informationen aus beiden Touchpoints – Kontaktformular und Brief – korrekt zuordnen kann. Denn nur so ist eine tiefgreifende Analyse der Kundenzufriedenheit möglich. Nur so können aktiv Insights zur Verbesserung gewonnen werden.

Gerade in einer Zeit, in der Customer Experience zu einem der, teilweise dem wichtigsten Entscheidungskriterium zwischen verschiedenen Anbietern wird, kommen Versicherungen nicht mehr darum herum, sich mit dem Thema zu befassen.