'Potenzial-Check: Churn Prevention' für Energieversorger und Stadtwerke

Die rekordhohe Wechselquote von Strom- und Gaskunden zeigt: Der Markt ist in Bewegung und Verbraucher nutzen ihre Wahlfreiheit aktiver denn je. Mit der gestiegenen Preissensibilität wächst auch die Bedeutung attraktiver Alternativen jenseits der Grundversorger. Kundenzentrierung ist damit keine Kür mehr, sondern eine Top-Priorität für die Geschäftsführung. Regelmäßiges Kundenfeedback ist ein zentraler Bestandteil einer kundenzentrierten Strategie. Doch es reicht nicht aus, es zu sammeln – es muss genutzt werden, um gezielt Prozesse zu verbessern, Produkte weiterzuentwickeln und den Service genau dort zu optimieren, wo die Entscheidung »bleiben oder wechseln« beeinflusst wird. Wer jetzt handelt, senkt Wechselraten, stoppt die Erosion der Kundenbindung und positioniert sich als starker Anbieter in einem hart umkämpften Markt.

Im moveXM Potenzial-Check teilen zwei Branchenkenner ihre Einschätzungen und Empfehlungen zur aktuellen Lage: Dr. Judith Glüsenkamp, Partnerin bei MSR Consulting Group, und Thomas Grundke, Mitglied der Geschäftsleitung bei moveXM. Beide arbeiten mit unterschiedlichem Schwerpunkt aktiv mit Unternehmen der EVU-Branche an strategischen CX- und Kundenzentrierungsprogrammen. Das Interview wurde im Februar 2025 aufgezeichnet.

 

Warum ist Kundenorientierung für Energieversorger und Stadtwerke im Jahr 2025 so wichtig?

Dr. Judith Glüsenkamp: Im Energiemarkt gibt es heute eine enorme Auswahl. Kunden können aus zahlreichen Anbietern wählen – und sie tun es auch. 

Laut Bundesnetzagentur lag die Wechselrate 2023 bei einem Rekordhoch von 12 Prozent. 

Das bedeutet: Mehr als jeder zehnte Kunde hat seinen Energieanbieter gewechselt. Wer nichts für die Kundenbindung tut, riskiert hohe Abwanderungsraten. Das allein ist Grund genug, sich aktiv um die Kunden zu kümmern.

Thomas Grundke: Genau, Judith. Hinzu kommen neue Anbieter mit innovativen Geschäftsmodellen, die perfekt auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind – von nachhaltiger Energie bis zu vollständig digitalen Tarifen. Das erhöht den Wettbewerb enorm. 

Ab 2025 kommen zudem dynamische Tarife auf Stadtwerke und Energieunternehmen zu, was den Innovationsdruck weiter steigert. 

Energieversorger müssen ihre Geschäftsmodelle transformieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Kundenorientierung ist deshalb keine Option, sondern eine Überlebensstrategie.

Welche Herausforderungen gibt es in Bezug auf Wettbewerb und Digitalisierung?

Thomas Grundke: Eine große Herausforderung ist die Differenzierung der Kundensegmente. Einerseits gibt es preissensible "Tarifhopper", die über Vergleichsportale schnell den Anbieter wechseln. Andererseits gibt es loyale Kunden, die sich mit der Region verbunden fühlen und ihrem Stadtwerk treu bleiben. Die Herausforderung besteht darin, beide Gruppen gezielt anzusprechen. 

Hohe Erwartungen an Schnelligkeit und Servicequalität können schnell enttäuscht werden. 

Zudem wird die Customer Journey immer komplexer. Kunden erwarten nahtlose Erlebnisse an jedem Touchpoint – vom Vertragsabschluss bis zur Abrechnung. Die Digitalisierung bietet Chancen, birgt aber auch Risiken. Prozesse müssen durchdacht sein, denn hohe Erwartungen an Schnelligkeit und Servicequalität können schnell enttäuscht werden. Stadtwerke müssen digitale Lösungen wie Kundenportale oder automatisierte Services anbieten – dabei aber die Balance zwischen Effizienz und persönlicher Bindung wahren.

Warum ist ein ganzheitliches Vorgehen bei der Churn Prevention so wichtig?

Dr. Judith Glüsenkamp: Unsere Studien zeigen, dass 40 Prozent aller Kündigungen auf vermeidbare Gründe zurückzuführen sind – fehlende Informationen, schlechter Service, unverständliche Kommunikation oder mangelnde digitale Angebote. Das sind Dinge, die Energieversorger selbst in der Hand haben.

40 Prozent aller Kündigungen bei Strom- und Gaskunden sind auf vermeidbare Gründe zurückzuführen.

Wichtig ist, dass man Churn Prevention nicht als Einzelmaßnahme betrachtet. Wie Thomas bereits sagte: Wir haben Omnichannel-Kommunikation und zahlreiche Touchpoints. Deshalb braucht es eine ganzheitliche Herangehensweise mit klaren Prioritäten. Unternehmen sollten ihre Customer Journeys genau analysieren, gezielt optimieren und dabei alle relevanten Abteilungen einbinden.

Wie kann die Customer Experience und damit die Kundenbindung verbessert werden?

Thomas Grundke: Customer Experience beginnt mit Daten. Energieversorger müssen verstehen, was ihre Kunden bewegt. Kundenfeedback zu sammeln ist essenziell, aber es reicht nicht, nur Daten zu erheben – sie müssen analysiert und in konkrete Maßnahmen übersetzt werden. 

Ein häufiger Fehler ist, dass zwar Daten vorhanden sind, aber keine Verbesserungen daraus abgeleitet werden.

Ein guter Einstieg sind Kundeninterviews oder Beobachtungen vor Ort, etwa im Service-Center. Langfristig geht es darum, Erlebnisse zu schaffen, die Kunden positiv überraschen und binden – durch personalisierte Angebote oder transparente, einfache Services.

Wie kann internes Change Management bzw. Transformation vorangetrieben werden?

Dr. Judith Glüsenkamp: Ein Treiber in der Geschäftsführung ist extrem hilfreich – jemand, der für das Thema brennt und es als strategisch essenziell versteht. Doch es geht auch darum, das gesamte Unternehmen mitzunehmen. Vielleicht erreicht man nicht jeden, aber doch die Mehrheit.

Ich empfehle, zwei Dinge zu kombinieren: Erstens, harte Fakten und Daten nutzen, um den Handlungsbedarf aufzuzeigen. 

Kundenfeedback liefert hier wertvolle Erkenntnisse – sowohl statistisch als auch durch konkrete Kundenstimmen. Wer eine echte Beschwerde liest wie "Ich habe zehnmal angerufen und immer noch nicht den richtigen Vertrag im Kundenportal", kann das Problem nicht ignorieren.

Zweitens, echte Kundenperspektiven einbringen. Man kann beispielsweise Bewertungen und Kommentare aus einschlägigen Plattformen analysieren und gezielt präsentieren. So schafft man eine emotionale Verbindung und erhöht die Bereitschaft zur Veränderung.


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Was sind eure Tipps und Quick Wins für Entscheider?

Thomas Grundke: Ein einfacher, aber wirkungsvoller Tipp: Kundeninterviews führen oder erste Feedbackrunden etablieren. Diese liefern wertvolle Hinweise, wo Frust innerhalb der Customer Journey entsteht. Ein konkreter Startpunkt kann die Analyse der Abrechnung oder des Kundenservice sein – zwei besonders kritische Touchpoints.

Dr. Judith Glüsenkamp Mein Tipp: Verstehen und dann einfach machen. Nicht alles auf einmal, sondern mit kleinen, schnellen Maßnahmen starten. Eine FAQ-Seite optimieren, Texte in der Kundenkommunikation verständlicher gestalten oder eine Telefonband überarbeiten. Das sind oft einfache Schritte mit großer Wirkung. Wichtig ist, ins Handeln zu kommen und erste Erfolge sichtbar zu machen.

Vielen Dank, Judith und Thomas, für diesen aufschlussreichen Austausch! 

Was geben wir unseren Leserinnen und Lesern als zusammenfassendes Fazit mit?

4 Punkte zum Mitnehmen:

  1. Der Energiemarkt ist in Bewegung, und die Kundenbindung wird für Energieversorger und Stadtwerke immer wichtiger.
  2. Eine ganzheitliche Churn Prevention Strategie ist dabei essenziell.
  3. Wer Kundenerwartungen kennt, CX-Daten gezielt nutzt und daraus konkrete Maßnahmen ableitet, kann sich im Wettbewerb erfolgreich behaupten.
  4. Entscheidend ist es, den Wandel aktiv zu gestalten – mit einer klaren Strategie, digitaler Exzellenz und einer Unternehmenskultur, die echte Kundenorientierung lebt.

 

Das Video-Interview führte Kathrin Michel, moveXM.